"Gefühl"

corny

corny

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joa ich wollte da mal so in die Runde schmeissen...
dass es bei einem so derart subjektiven Thema keine eindeutigen Antworten geben kann ist mir klar, aber darum geht es mir gerade:

Was macht für EUCH PESÖNLICH ein gutes Gefühl oder vllt auch nur das bloße (Nicht)Vorhandensein eines solchen in dem Spiel eines Musiker aus? Wie versucht ihr euer Spiel/Klang gefühlvoll zu gestalten?

Ich bin gespannt was man da so zu hören bekommt. Ich muss zugeben , dass ich mir über so etwas selbst noch nicht all zu viele Gedanken gemacht habe; nach etwas genaueren Beobachtungen und Überlegungen in letzter Zeit kristallisiert sich es teilweise heraus, dass das Spiel am Ehesten mit Gefühl in Verbindung gebracht werden kann, wenn Dinge wie Technik oder (komplexe) Harmonik in den Hintergrund treten, nicht mehr dazu dienen, sein Können, seine Virtuosität unter Beweis zu stellen, sonder nur noch so sehr wie es eben notwendig ist beachtet werden.
Grüße
 
Also ich spreche jetzt einmal aus Erfahrung als Cellist da ich dort deutlich mehr Erfahrung habe als aufm Bass.
Ich finde gerade auf Streichinstrumenten kann man Gefühle ganz super verdeutlichen.
Wie du schon gesagt hast, kann man aber erst an Gefühlen arbeiten, wenn alles andere Nebensache wird, dh man braucht schon viel Erfahrung.
Das ist auch für mich ein Unterschied zu einem guten Musiker, als einer der Gefühle in sein Spiel bringen kann.
Was versteht man jetzt aber genau unter Gefühlen.
Ist es nicht vielleicht auch schon ein Gefühl, wenn man ein Stück zum grooven bringt, sodass alle anderen einfach mitgehn wollen?
 
ich mag blues und das ist eine sehr emotionale musik. wenn man die spielt, ohne das gefühl rüber zu bringen, ist das tote scheiße. davon gibts genug. das kann perfekt gespielt sein, aber es ist einfach nur dreck.
aber auf der anderen seite gibt es den spruch, daß man den blues nicht leben muß, um ihn zu spielen. das ist nämlich rasch tödlich. nehmen wir mal einen sehr guten und emotional positiven (in jeder hinsicht!) blueser, bb king. der bringt es seit 60 jahren (!!!) fertig, bald jeden abend seine standarts über liebeskummer überzeugend rauszuhauen. bei "how blue can you get" ist viel schmerz und gejammer drin, aber er gibt der sache immer ein augenzwinkern mit, lacht breit übers ganze gesicht, wenn er seine berühmten töne aus lucille rausquält... der mann ist äußerlich glücklich, gerade auf der bühne zu stehen und ich bin sicher, daß es ihm immer noch einen riesen spaß macht, menschen mit seiner musik glücklich zu machen. aber ich glaube nicht, daß er freude daran hat 360 mal im jahr 60 jahre lang den selben song zu spielen. da ist er der absolute profi. ich bin sicher, es gibt niemanden, der behaupten kann, daß man bb king jemals angemerkt hätte, daß er einen song eigentlich nicht mehr hören kann und eigentlich auch heute mal wieder total keinen bock drauf hat, ihn zu spielen.

ich bin kein profi. meine band sind keine profis. wir haben so songs in unserem coverprogram... ich mag sie nicht, keine ahnung, wer den rotz angeschleppt hat, ich weiß, daß mindestens die hälfte der band den song so scheiße und lahm findet wie ich... aber es ist eben masse. eine weitere zeile auf unserer nicht gerade üppigen setlist. aber wenn wir das ding spielen höre ich, daß wir da keinen bock drauf haben. und ich würde auch ernsthafte diskussionen anfangen, wenn diese dinger live auf der setlist auftauchen, weil ich einfach nicht weiß, ob wir in dem moment dann doch profis sind und den song gut rüberbringen.

können und virtuosität... man muß etwas können, um gefühl zum ausdruck zu bringen. hendrix war kein detailverliebter fuddler. die gitarre war seine stimme, fast mehr als seine muttersprache. in gesellschaft war der mann schüchtern bis zum abwinken. bis er auf die bühne trat und seine gitarre das sagen lassen konnte, was er wirklich mal los werden wollte. da gibt es liveaufnahmen von "foxy lady", da hat er auf seine weise jede zensur umgangen und ganz klip und klar gesagt, was er mit der lady gerne anstellen möchte. dafür hätte ihm jede sittsame dame die handtasche um die ohren gehauen bis er aussieht wie ein grausig&havanna-werbemännchen...
nina simones konzert kurz nach martin luther kings ermordung. so etwas kannst du nur, wenn du meister deiner instrumente bist. robert johnsons "hellhounds on my trail". louis armstrong bei "st. james infirmary". die liste kannst du ewig fortsetzen. giganten auf der höhe ihrer fertigkeiten.
reduzieren wir das mal. son house aufnahme von "john the revelator". eine stimme, unrhythmisches geklatsche. mehr soul geht nicht. die basslinie von "papa was a rolling stone". vier töne, aber gespielt mit allem, was bob babbit an seele in sich hatte. auch wenn du es schaffen solltest, das lick einmal mit soul rauszuhauen... kannst du es elf minuten lang mit dieser intensität?
werden wir mal "unspektakulär": willie weeks bei donny hathaway. ein bescheidener mann, der sich nie in den vordergrund gespielt hat. lassen wir das solo bei "everything ist everything" weg, bleibt trotz aller bescheidenheit, aller unaufdringlichkeit basslinien, die dir verraten, daß da ein gigant am werk ist.

die kehrseite: hybris. virtuosität bei sich vermuten, wo keine ist. 90% der daumendengler sollte erst mal lernen, saubere achtel im fingerstyle zu spielen... und 9% der daumendengler sollte sich bewußt machen, daß wenn man nichts zu sagen hat, man eher das maul halten statt vom balkon predigen sollte. bevor man versucht, dürers hände in den schnee zu pissen, sollte man vielleicht ein wenig zeichnen können. und wenn man dürers hände in den schnee pissen kann, sollte man sich die frage stellen, ob man das wirklich im fernsehen zeigen will. klasse statt masse ist das zauberwort.

meine fähigkeiten reichen bei weitem nicht, um wirklich ausdrücken zu können, was ich ausdrücken möchte. aber es ist eigentlich wie mit kindern und sprache. ein kleinkind weint, wenn es ein problem hat, es artikuliert sich nicht. es kann nicht weinen, wenn es eigentlich glücklich ist. es kann sagen "mama, ich hab hunger" wenn es nichts zu essen bekommt und der hunger schlimmer wird, weint es. es kann die dringlichkeit seines bedürfnisses und die intensität des ganzen anders eben nicht ausdrücken. da stehe ich mit meinem bass.
goethe hätte sich auf dem höhepunkt seiner schöpferischen kraft nicht mit weinen beholfen. sein gedicht über den zustand seines magens wäre ein objekt der anbetung von literaturkritikern und des hasses jedes gymnasiasten. da stand hendrix.
ich werde nie hendrix sein. ich werde nie willie weeks oder bob babbit sein. schade, aber so ist es nun mal. ich hoffe, daß meine versetzung von der grundschule in die mittelstufe nicht gefährdet ist und ich eines tages den realschulabschluss erreiche. das wird eine party...
 
Ich habe mit 15 angefangen Bass zu spielen und bin mit einigen Unterbrechungen bis heute - mittlerweile 48 - dabei geblieben. Vieles hat sich seitdem verändert, die Technik, die Musik und natürlich auch ich selbst. Die einzige Konstante in alledem ist das, was ich empfinde, wenn man beim Zusammenspiel plötzlich merkt, daß alle irgendwie komplett "zusammen" spielen und die Summe der Teile mehr als ein Ganzes ergibt. Es ist schwierig das zu beschreiben. Man hat plötzlich das Gefühl, kein einzelnes Instrument mehr zu spielen, sondern Teil eines großen Klangkörpers zu sein. Leider kommt das nicht allzu häufig vor und man braucht schon gut aufeinander eingespielte Musiker dafür. Aber dafür ist jede Anstrengung gerechtfertigt. Für diese Momente spiele ich.

Ich hoffe, Ihr wißt, was ich meine.
 
Zitat:Original erstellt von: TheBass

Ich habe mit 15 angefangen Bass zu spielen und bin mit einigen Unterbrechungen bis heute - mittlerweile 48 - dabei geblieben. Vieles hat sich seitdem verändert, die Technik, die Musik und natürlich auch ich selbst. Die einzige Konstante in alledem ist das, was ich empfinde, wenn man beim Zusammenspiel plötzlich merkt, daß alle irgendwie komplett "zusammen" spielen und die Summe der Teile mehr als ein Ganzes ergibt. Es ist schwierig das zu beschreiben. Man hat plötzlich das Gefühl, kein einzelnes Instrument mehr zu spielen, sondern Teil eines großen Klangkörpers zu sein. Leider kommt das nicht allzu häufig vor und man braucht schon gut aufeinander eingespielte Musiker dafür. Aber dafür ist jede Anstrengung gerechtfertigt. Für diese Momente spiele ich.

Ich hoffe, Ihr wißt, was ich meine.

Absolut[:-)]!
Genau das ist es was ich liebe, egal bei welcher Musikrichtung.
Das gibt es für mich auch nicht auf einen bestimmten Level des Könnens, es muss einfach die passende Einheit des Flusses sein(Hölle, hoffentlich klingt das nicht zu eso-mäßig)
Egal ob Acid-Jazz oder Schrammelrock, Soul oder Electronica usw - diese Momente sind Gold wert.

Ansonsten gibt es noch eine Menge Situationen, die mir ein gutes Gefühl geben, z.B. wenn ich in meiner jetzigen Kapelle unseren Gitarristen beim solieren zugucken kann und sie coole Ideen haben muss ich Grinsen - das macht richtig Bock auf der Bühne.



 
Ich bin meiner eigenen Einschätzung nach bezüglich unseres Repertoires nun aus der Phase heraus, wo man zu sehr darauf achten muss, keine Fehler zu machen.
Jetzt gewinne ich langsam Spielraum für Musikalität; das gibt mir ein gutes Gefühl, weil ich endlich daran gehen kann, meine Gefühle umzusetzen.
Natürlich hängt diese Phase auch davon ab, dass die anderen ebenfalls jetzt dort angekommen sind und man nicht länger so spielt, als ob man froh wäre, durch die Stücke heil durch zu kommen.
 
Zitat:Original erstellt von: TheBass

Ich habe mit 15 angefangen Bass zu spielen und bin mit einigen Unterbrechungen bis heute - mittlerweile 48 - dabei geblieben. Vieles hat sich seitdem verändert, die Technik, die Musik und natürlich auch ich selbst. Die einzige Konstante in alledem ist das, was ich empfinde, wenn man beim Zusammenspiel plötzlich merkt, daß alle irgendwie komplett "zusammen" spielen und die Summe der Teile mehr als ein Ganzes ergibt. Es ist schwierig das zu beschreiben. Man hat plötzlich das Gefühl, kein einzelnes Instrument mehr zu spielen, sondern Teil eines großen Klangkörpers zu sein. Leider kommt das nicht allzu häufig vor und man braucht schon gut aufeinander eingespielte Musiker dafür. Aber dafür ist jede Anstrengung gerechtfertigt. Für diese Momente spiele ich.

Ich hoffe, Ihr wißt, was ich meine.

+1 ... das sind die Momente, die für stundenlanges Covern entschädigen!
 

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