Viele (ich sage ausdrücklich nicht alle) musikalischen „Innovationen“, kamen von theoretisch ungebildeten Musikern. Hätten die alten Bluesgitarristen alle eine fundierte Ausbildung in Harmonielehre gehabt, gäbe es dann die Blue Note? Ist der Blues, der fast ausschließlich durch musikalisch „ungebildete“ entstand, nicht sogar das Fundament der heutigen Rock- und Popmusik?
Das ist ein lustige, sehr romantisierende Geschichte, die vor allem ganz prima dabei hilft, wenn man sich für seine mangelnde Bildung nicht rechtfertigen will, sondern sie gleich zum Vorteil erklärt. Wissen ist Macht, nichts wissen macht nichts.
Leider ist sich ziemlich falsch.
So ziemlich alle musikalischen Innovationen kamen nicht von Leuten, die es nicht besser wussten, das wäre so ähnlich wie wenn Shakespeare halt doch eine Million Affen mit Schreibmaschinen....ihr wisst schon.
sie kamen von Leuten, die die Basics ihrer Zeit beherrschten, und so sehr verinnerlicht hatten, daß ein Bruch der Konvention mal etwas Abwechslung in den trüben Alltag des konventionellen brachte. Und klar, Abwechslung, Extravaganz, womöglich etwas Rebellion, wir sind im Entertainmentbereich, da zahlt sich sowas aus.
Das war im Hochbarock halt nach ewig geraden 4-5-1 Kadenzen halt ein Dominantseptimakkord. Für Beethoven war das dann schon wieder Schnee von gestern, der hat sich neue Sachen ausgedacht.
Auch die Bluenote ist kein zufälliger Fehler, von Leuten, die theoretisch ungebildet waren, sondern durchaus ein bewusster Bruch eines konventionellen Rahmens. Auch wenn die afroamerikanischen Musiker so vor 140 Jahren etwa, vielleicht keine Ausbildung hatten, die in ihrer Formalität von hochschulgebildeten Weißen erkannt worden wäre, sie wussten sehr genau, was sie machten, und haben dazu auch ein theoretisches Verständnis entwickelt (zwansgläufig).
Die heutige Rock und Popmusik haben auf diesem Fundament auch Generationen von talentierten aber auch theoretisch hochgebildeten Leute entwickelt. Genau wie die Barocker damals, immer eine kleine Schippe drauf, ein Bruch gerade so groß, daß er einen Kick gibt, aber das Publikum nicht abhängt. Und nächstes Jahr muss noch eine kleine drauf.
Die Geschichten von den Ausnahmen hören wir natürlich immer gerne, weil die sind viel spannender, als daß Erfolg halt 1%Inspiration und 99%Transpiration sind. Aber wenns keine absolut seltenen Ausnahmen währen, wärs ja auch nicht spannend.